Samstag, 20. Dezember 2008

« German HipHop goes America»



oder wie schützt man sich vor Musikklau, im Fachjargon Sound-Sampling genannt?

Wie die Süddeutsche Zeitung und auch golem.de schon am 20.11.2008 berichteten,

http://www.sueddeutsche.de/kultur/57/358882/text/ oder http://www.golem.de/0811/63687.html ,

hat der BGH zum Sound-Sampling ein aktuelles Urteil gefällt. In dem dort entschiedenen Fall vermochte der Produzent von Sabrina Setlur, Moses Pelham, weiland 1996 zwei Takten von Kraftwerks Rhythmus-Pattern aus "Metall auf Metall" von ihrem legendären Album "Trans-Europa Express" (1977) − maximal drei Sekunden Sound − nicht zu widerstehen und sampelte sich diesen, ohne um Erlaubnis zu fragen, als Endlosschleife für den Song "Nur mir", den man sich unter der Adresse http://www.youtube.com/watch?v=_KQLxP-UX_Y sogar legal anhören kann, weil er von Pelhams Plattenfirma p3 dort eingestellt wurde.

Dass Songausschnitte, Sounds und Beats gerne mal in andere Musikwerke eingebaut werden, im Original oder auch nachgeahmt, ist in der Musikgeschichte nichts Neues.
Schon Dvořák, Tchaikowski oder auch Brahms plünderten gerne die Schätze der Volksmusik und ernteten die Lorbeeren für Tänze und Märsche ihrer Heimat, zumindest in Form von ewigem Ruhm. Damit bereicherten sie zweifelsohne die Kultur. Auch Blues, Soulmusik oder Jazz wäre ohne die Musik der afro-amerikanischen Sklaven und deren Nachfahren undenkbar, die zunächst einmal selbst nichts oder nicht allzu viel davon hatten.

Umso erstaunlicher ist, dass es ausgerechnet den Urvätern der elektronischen Musik von der Düsseldorfer Gruppe Kraftwerk gelang, ihre Beats der allerersten Sequenzer-Generation, die dem amerikanischen HipHop den Weg ebneten, rechtlich zu schützen und sich sogar an deren Verwertung in Übersee (USA) zu beteiligen.
Der Dinosaurier des HipHop, Afrika Bambaataa, hatte 1982 aus demselben Album von Kraftwerk die Melodie des Titelsongs in seinem "Planet Rock" nicht ganz zufällig nachgeahmt, als gerade das Original in afro-amerikanischen Clubs Furore machte. Kraftwerk zog vor Gericht, wo man sich auf eine gemeinschaftliche Verwertung einigen konnte. Beide profitierten von dem Deal.

Warum kam Moses Pelham erst 1996 auf die grandiose Idee, bei Kraftwerk zu plündern? Pelham war zwar nicht so dreist und sampelte ebenfalls eine berühmte Melodie, die hierzulande gemäß § 24 Absatz 2 UrhG absolut geschützt ist und nicht ohne Erlaubnis verwendet werden darf, nicht einmal in freier Benutzung nach § 24 Absatz 1 UrhG, dafür reichten aber zwei unveränderte schmale Takte Schlagwerk á la Kraftwerk voll und ganz, um den von Sabrina Setlur ansonsten gerappten Song zu harten Gitarrenriffs rhythmisch komplett zu unterbauen.

Durfte er das denn?

Jedenfalls bekam auch diesmal Kraftwerk Wind davon und zog vor Gericht. Glücklicherweise hatte die Gruppe die Platte damals im eigenen Studio aufgenommen und selbst produziert. Somit kam sie in den Genuss des § 85 Abs. 1 UrhG, bei dem der Aufwand des Tonträgerherstellers geschützt wird, selbst wenn es um kleinste Soundschnipsel geht, so der BGH in dem aktuellen Urteil. Nur der Tonträgerhersteller hat das ausschließliche Recht, die in dem Tonträger aufgenommenen Tonfolgen und Geräusche zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Somit wendete sich der BGH ausdrücklich gegen die bisherige Rechtsprechungstendenz, zumindest kleinste Samples zuzulassen.

Hätten die Kraftwerker den Rechtstreit "nur" als Urheber oder Darbietungskünstler
geführt, hätten sie keine Chance bei der Schöpfungshöhe der besagten Rhythmussektion, da zwei Sekunden davon zweifelsohne das Maß an Individualität, das ein Produkt geistiger Arbeit zu einem urheberrechtlich schutzfähigen Werk oder Werkteil macht, sei es im Original oder auch als Darbietung, fehlt. Der Rhythmus eines Popsongs ist nur im Gesamteindruck, zusammen mit Harmonik, Struktur des Werkaufbaus, Instrumentation, Klangfarbencharakteristik, etc. zu Gunsten des Urhebers rechtlich beachtlich.


Eine endgültige Entscheidung überließ der BGH dem Berufungsgericht, das noch als Tatsacheninstanz zu klären hat, ob hier nicht eine freie Benutzung gemäß § 24 Absatz 1 UrhG vorliegt.
Das Gericht stellte dabei klar, dass es neben dem absoluten Melodieschutz eine zweite Fallgruppe gibt, die allerdings so nicht im Gesetz steht, bei der eine freie Benutzung grundsätzlich ausgeschlossen ist, nämlich dann, wenn der Samplesünder befugt und befähigt ist, die Tonfolgen, die er kopiert hat, auch selbst einzuspielen.

Ist das juristisch einleuchtend?

Nein.
Denn die freie Benutzung nach § 24 UrhG steht im Kontrast zur zustimmungsbedürftigen Bearbeitung nach § 23 UrhG, wenn das verwendete Werk in der Neuschöpfung weiterhin bestimmend ist.

Es kann jedoch in diesem Fall nicht entscheidend darauf ankommen, wie weit der sog. innere Abstand zum Original ist, da die Drum Patterns von Kraftwerk rechtlich gesehen als solche keine schutzfähigen Werkteile sind, die hinter den Rest der neuen Komposition Pelhams rechtlich zurücktreten müssten, auch wenn der Sound unverkennbar an Kraftwerk erinnert, seine zeitlose Popularität durch Verwendung des Originals klar ausnützt, was für jeden Kraftwerk-Fan sofort erkennbar ist.
Es kann sich folgerichtig – rein juristisch versteht sich – dann auch nur um eine freie Benutzung des "Kraft-Werkes" handeln. Andernfalls würde man dem Rhythmus in einem Popsong, entgegen der bislang gängigen Rechtspraxis durch diese Konstruktion auf einmal doch größere Bedeutung beimessen, ihm sogar werkbestimmenden, zustimmungsbedürftigen Charakter zusprechen, hielte man die Verwendung desselbigen nicht für eine frei Benutzung des Werkes, sondern für eine zustimmungsbedürftige Bearbeitung nach § 23 UrhG, wenn man annimmt, der innere Abstand zum Original, in dem Fall der Originalaufnahme, sei nicht groß genug.

Das wiederum wäre ein sicherlich nicht gewollter urheberrechtlicher Wertungswiderspruch zum urheberrechtlichen Werkbegriff und der erforderlichen Schöpfungshöhe auch für Werkteile, erst recht bei Popsongs, bei der sowieso nicht allzu hohe Anforderungen an die gebotene Individualität bestehen, bei der aber diese für den Rhythmus nach einhelliger Meinung abgelehnt wird.
Davon wollte der BGH sicher nicht abweichen, zumindest äußerte er sich nicht dementsprechend.

Noch wesentlicher ist jedoch, dass es sich bei Benutzung oder Bearbeitung nach §§ 23, 24 UrhG um Ausgestaltungen des künstlerischen Urheberpersönlichkeitsrechts und nicht um die wirtschaftlicher Schutzrechte des Tonträgerherstellers in § 85 UrhG geht. Auf letztere können sie deshalb auch nicht angewendet werden, weil sie schlichtweg nicht passen.
Der BGH möchte offensichtlich trotzdem den unbegrenzten Schutz aus § 85 UrhG deckeln, indem er den wirtschaftlichen Aufwand zumindest dann nicht mehr schützen möchte, wenn der Urheber selbst einer Benutzung seines Werkes nicht widersprechen könnte, unabhängig davon, dass der finanzielle Aufwand auch in dem Fall gleich hoch wäre, also nicht minder schützenswert. Es handelt sich folglich um zwei völlig verschiedene Zielrichtungen, Schutz der geistigen Leistung auf der einen Seite, Schutz des Produktionsaufwands auf der anderen, die beide bislang völlig unabhängig voneinander existierten. Dabei wurde der wirtschaftlichen Leistung zuvor mehr Bedeutung beigemessen als der künstlerischen.
Jetzt soll der wirtschaftliche Aspekt zumindest nicht grenzenlos geschützt sein, obwohl das Bedürfnis der Tonkünstler im digitalen Zeitalter eher dahin geht, einen ähnlich strengen Schutz ihrer Werke zu beanspruchen, wie es bislang nur ihre Tonträger und deren Hersteller genossen.

Dazu ein fiktives Beispiel:
Was würde wohl Queen dazu sagen, würde man auch nur das "Bismillah no" aus dem Chor der "Bohemian Rhapsody sampeln und als Loop in einem neuen Song ständig wiederholen oder auch nur in einer Bridge? Wenn der Song im Übrigen ein ganz anderer wäre, etwa wie bei den diversen Soul Makossa-Einsprengsel gegen den Willen von Manu Dibango bei Michael Jackson ( Don't stop till you get enough) oder Rihanna ( Please don't stop the music), könnte man, je nach dem, zumindest bei der Rihanna-Variante, großzügig eine freie Werkbenutzung annehmen.
Freddie Mercury aber hatte damals jede einzelne Stimme des Chors separat aufgenommen, weil man seine Stimme 1975 eben noch nicht sampeln und beliebig vervielfältigen konnte. Der Produktionsaufwand wie auch der zeitliche war für damals enorm und ist heute immer noch, wenn nicht erst recht, überaus schützenswert. Freddie würde vermutlich im Grab rotieren.

Dafür hat sich der BGH offenbar die zweite Fallgruppe einfallen lassen, bei der es mit der freien Benutzung eines Werkes doch nicht klappen soll.
Wie ist die zu verstehen? Wer ist befähigt und befugt, Tonaufnahmen selbst vorzunehmen?

Jeder, der einen Drumcomputer programmieren oder mit Drumming Software umgehen kann, dürfte wohl dazu befähigt sein, diesen Rhythmus selbst einzuspielen.

Wie sieht es mit der Befugnis aus? Welche Befugnis meinen die Bundesrichter?
Wird der Beat etwa rechtlich zulässig zitiert, was hier wohl kaum der Fall ist, wenn das gesamte Lied mit dem Rhythmus unterlegt wird oder hat der Benutzer gar ein Bearbeitungsrecht erworben, z.B. für eine Coverversion oder einen Remix, besteht schlichtweg kein Bedarf mehr für eine freie Benutzung des zugrundeliegenden Werkes. Das kann es wohl nicht sein!


Meinte der BGH etwa kryptisch, Musikproduzenten seien beruflich dazu befugt, Musik einzuspielen und sollten dementsprechend auch dazu befähigt sein, es selbst zu tun, statt in der jüngeren Musikgeschichte auf digitalen Raubzug zu gehen? Die Pressemitteilung ist hierzu nicht eindeutig.

Fazit:

Es ist nicht klar, welche neuen Ausnahmen von der freien Benutzung der BGH neben dem absoluten Melodieschutz etablieren will. Vermutlich geht es ihm um eine Ausnahme bei kommerziellem Sampling. Die ist aber nicht nötig, wenn man bei einer rigorosen Anwendung des § 85 Abs. 1 UrhG auch für Licks bleibt und nicht auf § 24 UrhG zurückgreift, der allein dem Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts dient und auf die wirtschaftlichen Interessen der Musikindustrie schlichtweg nicht anwendbar ist, zu deren Schutz man sich schließlich gesetzlich im § 85 UrhG durchgerungen hatte. Vielmehr sollte man die Urheber in ihren Rechten ähnlich stärken.
Begrenzt man jedoch den Schutz des wirtschaftlichen Produktionsaufwands mit den Mitteln des Urheberpersönlichkeitsrechts, um ihn anschließend wieder auszuhebeln, weil er für Musikproduzenten dann doch nicht gelten soll, sondern nur für private YouTube-Spaßvögel, ist das zum einen umständlich, rechtlich unsauber und wird zudem besonders komplexen und kostspieligen Aufnahmen, gerade aus der Vergangenheit, nicht gerecht. Bei letzteren darf es nicht auf die Quantität des Tonklaus, einen Tonfetzen mehr oder weniger, ankommen. Vielmehr sollte der Schutz der Urheber und Darbietungskünstler (i.e. z.B. auch der Studiomusiker, die der Aufnahme ihren persönlichen Stempel aufdrücken) ebenfalls strenger gehandhabt werden wie schon bei den Tonträgerherstellern. Besonders einprägsame Rhythmussequenzen oder Gitarrenriffs sollten ruhig mehr Urheberrechtsschutz genießen, wenn sie den für Fans erkennbaren, einem Künstler zurechenbaren Erfolg von Popsongs ausmachen. Diese Künstler sind letztendlich diejenigen, die die Kultur, aber leider auch die professionellen Parasiten bereichern.

Den Kreativen des digitalen Zeitalters bleibt immer noch die rechtlich zulässige Bearbeitung von Samples. Hätte Moses Pelham die Rhythmussequenz von Kraftwerk nicht nur einfach kopiert, sondern auch verfremdet, variiert, wäre ihm der Prozess vermutlich erspart geblieben oder er hätte zumindest bessere Karten gehabt.

Für eine abschließende Beurteilung der Rechtslage beim Sound-Sampling ohne Reue wird man die Urteilsbegründung abwarten müssen. Die und auch das Berufungsgericht bringen hoffentlich mehr Licht ins Dunkel des Diskothekensounds und seiner Herstellung.

© Marcella Katharina Morelj München 06.12.2008 Foto pixelio, Kurt F. Dominik