Samstag, 23. Februar 2008


Staat haftet für Fahndungs-Blog zu Kapitalverbrechen
Diesmal handelt es sich nicht um Phantasien eines Tatort-Drehbuchautors, der seine Kriminalkommissare ins Web 2.0 schickt, um einem gewieften Mörder das Handwerk zu legen. Es ist die Kriminalpolizei selbst, die sich das mit dem Blog ausgedacht hat!
[1]

Am Pfingstmontag 2001 wurde eine 81-jährige Frau in ihrer Wohnung ermordet. Da es keine Einbruchsspuren gab, ging die Polizei davon aus, dass der Täter der Ermordeten bekannt war und verdächtigte zunächst einen 17-jährigen Jungen aus dem Nachbarhaus, einen Pfarrerssohn, der psychisch auffällig war und dem Täterprofil entsprach, das von einer abnormen Persönlichkeit ausging. Nur konnte sie es ihm nicht beweisen. Man kam auf die bewährte Idee, die Bevölkerung zur Mithilfe aufzurufen, was nicht zu beanstanden ist.

Nun wollte die Polizei mit der Zeit gehen und richtete im Juli desselben Jahres im Internet ein Diskussionsforum zum Mordfall ein, in dem die Bürger öffentlich ihre Meinung zum Verbrechen kundtun oder sich Zeugen melden könnten oder Leute, die sachdienliche Hinweise hätten. Darüber wurde auch in der Hildesheimer Lokalpresse berichtet, so dass bis zur Schließung des Forums am 14. August 2001 davon rege Gebrauch gemacht wurde, u.a. von Wuschel oder Reinkarnationen des Meisterdetektivs Sherlock Holmes. Nur Beweise gab es am Ende keine.

Am 2.7.2003 wurde das Verfahren gegen den Verdächtigen von der Staatsanwaltschaft Hildesheim gemäß § 170 Abs. 2 StPO[2] eingestellt, da die Beweise für eine Anklageerhebung nicht ausreichten.

Im Februar 2006 gestand der wahre Täter den Mord und wurde rechtskräftig verurteilt.

Der ursprünglich verdächtigte Mann erhob Klage auf Entschädigung gegen das Land wegen rechtswidriger Amtspflichtverletzung im Ermittlungsverfahren zum Ausgleich des immateriellen Schadens und bekam in zweiter Instanz durch das OLG Celle mit Urteil vom 19.6.2007 endgültig Recht, da laut Urteilsbegründung die Eröffnung eines solchen Internetforums geeignet ist, die dort benannten Täter in ihrem Persönlichkeitsrecht erheblich zu verletzen, erlaubt man insbesondere die Diskussion, ob jemand eine Tat begangen hat, nur weil man sie ihm zutraut, aber nicht nachweisen kann, was die rufschädigende Gerüchteküche nur noch weiter anzuheizen vermag.[3]

Fazit:

1. Ermittlungen gegen unschuldige Verdächtige sind unausweichlich und rechtens, ihre Persönlichkeitsrechte dürfen aber dennoch nicht über Gebühr strapaziert und verletzt werden, indem man sie öffentlich an den digitalen Pranger stellt, in der Erwartung, es werde sich erweisen, dass dies mit Recht geschah!

2. Die Gewaltenteilung funktioniert noch bestens in diesem unseren Lande.


© Foto pixelio.de/Angelika Lutz


[1] Wie die CR (Computer & Recht) in Heft 2 dieses Jahres auf den Seiten 123 f. berichtet.

[2] Strafprozessordnung

[3] OLG Celle, Urt. V. 19.6.2007 – 16 U 2/07, rechtskräftig (LG Hildesheim, Urteil v. 18.12.2006 – 5 O 138/06