Das jüngste Urteil des BGH zum Tonsampling (vgl. letzten Blogbeitrag), sowie das von 2007 über die freie Verwendung von sog. Laufbildern nach § 95 UrhG, die sonst nicht einmal als Teile von Filmwerken schutzfähig wären, wie auch kleinste Filmschnipsel, die als Klammerteile dennoch einen Markt haben, wirft die Frage auf, ob die rechtliche Konstruktion, die der BGH gewählt hat, um den auch in kleinste Elementarteilchen investierten "wirtschaftlichen, organisatorischen und technischen Aufwand", der im Kontrast zu den Früchten geistigen Schaffens offenbar weit mehr Schutz genießen soll ( vgl. letzten Blogbeitrag), überzeugen kann.
Bei strenger Betrachtung des Schutzumfangs des § 24 Abs.1 UrhG, der im Grunde die freie Benutzung eines Werk oder Werkteils zum Wohle der kulturellen Fortentwicklung schützt, sind Zweifel durchaus angebracht.
Ist die entsprechende Anwendung des § 24 Abs.1 UrhG gerechtfertigt?
Liegt hier überhaupt eine für eine Analogie planwidrige Regelungslücke vor? Wenn der Wortlaut zu Recht als unpassend abgelehnt wird, weil es sich eben nicht um Werke oder Werkteile und auch nicht um in gleichem Maße vom Gesetz ausdrücklich geschützte Produktionsergebnisse handelt, wie z.B. Laufbilder (§95 UrhG), zu denen Rundfunk- und Fernsehsendungen zählen, bedarf es in erster Linie eines vergleichbaren Sachverhalts, um danach feststellen zu können, ob die vorgefundene vermeintliche Regelungslücke auch planwidrig ist und gegen wesentliche Grundgedanken des Gesetzes verstößt.
Warum werden Filmträgerhersteller rechtlich anders behandelt als Tonträgerhersteller?
Der Schutz der Ton- wie auch Filmträgerhersteller ist ebenfalls ausdrücklich, in den §§ 85, 86 und 94, 95 UrhG, normiert. Dabei richtet sich der Schutz der Tonträgerhersteller aber nicht nach den Vorschriften für Musikwerke, während Laufbilder und auch die Rechte der Filmträgerhersteller nach den Vorschriften für Filmwerke behandelt werden, obwohl ihnen auch die erforderliche Schöpfungshöhe für die Annahme des Werkcharakters zuweilen fehlt.
Aus dieser gesetzlichen Systematik lässt sich daher der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber offensichtlich Unterschiede zwischen diesen Gruppen machen wollte.
Kreative Ergebnisse schöpferischer Arbeit und kommerzieller, wie auch technischer oder organisatorischer Aufwand, sind zwei Paar Stiefel, selbst wenn es, wie immer, Überschneidungen gibt.
Was hat das mit der viel gepriesenen Fortentwicklung der Kultur zu tun?
Wer sich aber fremden Schaffens im Sinne der gesetzlichen Auslegung
des § 24 Abs. 1 UrhG auf legale Weise bedienen will, darf das nur, wenn dadurch ein eigenständiges, eigenschöpferisches Werk entsteht, das zu einer Bereicherung des kulturellen Gesamtguts führt. Ein rein ökonomischer Investitionsschutz vermag jedoch nur bedingt der kulturellen Fortentwicklung zu dienen. Im Vordergrund steht vielmehr die Ersparnis von Produktionsaufwand.
Wenn aber nach der gesetzgeberischen Intention die geistige Auseinandersetzung mit einem Werk geistiger Schöpfung zum Wohle der Fortentwicklung der Kultur geschützt werden soll, dient der rein materiell-wirtschaftlich ausgerichtete Investitionsschutz höchstens indirekt der Fortentwicklung der Kultur. Man muss sich diese eben leisten können oder wie eh und je einen Sponsor oder Mäzen finden! Dafür spricht, dass dem Investitionsschutz der Film- und Tonträgerhersteller an anderer Stelle, in den §§ 94, 95 und 85 UrhG, ausreichend Rechnung getragen wurde.
Gibt es im Urheberrechtsgesetz Schrankenbestimmungen, die für eine Analogie taugen?
In den §§ 94,95 und 85 UrhG wird eine Analogie zu § 27 Abs. 2 und 3 sowie Abschnitt 6 des Teil 1 gesetzlich normiert, nicht jedoch zu § 24 Abs. 1 UrhG! Der BGH spricht in diesem Zusammenhang von Schranken des Urheberrechts. Sollte etwa darin die Regelungslücke liegen? Bei genauerer Betrachtung handelt es sich bei § 27 Abs. 2 und 3 UrhG im Gegensatz zur Regelung des § 24 Abs. 1 UrhG um die Konkretisierung der Verwertungsrechte bei Vermietung und Verleihung. Die Schranken der §§ 44a – 63a UrhG reglementieren zum einen die kommerzielle Verwertung, setzen aber auch Grenzen für die kreative Verwendung anderer, ob unmittelbar für Werke und Werkteile mit der gebotenen Schöpfungshöhe oder analog für die bereits erwähnten Laufbilder. Nichtsdestotrotz handelt es sich um völlig unterschiedliche Schutzgüter, die unter ein und dieselbe gesetzliche Reglung subsumiert werden. Das stünde eigentlich einer Analogie entgegen. Das hat jedoch den Gesetzgeber nicht gestört, Laufbildern nach § 95 UrhG analog zu Filmwerken Schutzrechte zuzugestehen und sie in gleichem Maße denselben Schranken zu unterwerfen.
Eine vergleichbare Regelung gibt es hingegen für Musikproduktionen, die keinen Werkcharakter haben, nicht. Dazu gehören die besagten Soundsamples, die mittlerweile wie Klammerteile beim Film einen kommerziellen Gegenwert haben. Der Handel mit Soundbibliotheken und virtuellen Instrumenten boomt schon eine ganze Weile. Werden sie allein deshalb nicht urheberrechtlich geschützt, weil die Populärkultur gemeinhin geringgeschätzt wird? Schließlich werden Laufbilder ohne Werkcharakter in großem Maß von öffentlich-rechtlichen Einrichtungen wie den Rundfunk- und Fernsehanstalten produziert. Die hatten also eine Lobby, die Popmusik hingegen konnte sich noch nicht ausreichend juristisches Gehör verschaffen.
Ist diese Ungleichbehandlung überhaupt rechtlich gerechtfertigt?
Dabei lohnt sich ein neutraler Blick auf die die vom BGH angeführten Beispiele der Film- und Tonaufnahmen von Tieren in der freien Natur(Vogelgezwitscher).
In beiden Fällen kann man weder von einem Film-, noch von einem Musikwerk sprechen. Dennoch ist nachvollziehbar, dass der Aufwand für diese Art Aufnahmen im Einzelfall (z.B. für den Balztanz und -gesang männlicher Bergfinken zur Paarungszeit, die womöglich nur im Morgengrauen ohne Scheu an bestimmten Stellen zu beobachten sind!) durchaus hoch sein kann, wenn man den Schilderungen von Naturfilmern in Talkshows Glauben schenkt, die sich für manche Aufnahmen wochenlang, wenn nicht sogar Monate auf die Lauer legen müssen. Dies gilt für die gesamte Ton- wie auch Filmaufnahme, genauso wie für einen Bruchteil davon, also auch für kleinste Partikel. Das hat auch der BGH so gesehen, die Argumentation jedoch nicht bis zum Ende durchgehalten.
Es sollte
jedoch keinen Unterschied machen, ob man nun Vögel in Bild und Ton oder nur in Bild aufnimmt oder im Gegensatz dazu nur in Ton!
Letztere Tonaufnahmen werden aber nicht ähnlich wie Musikwerke, etwa in einem § 85a (gibt es nicht!), geschützt wie ihre visuellen Pendants, die Laufbilder. Dafür gibt es auch keinen ersichtlichen Grund. Es wäre folglich auf puren Zufall zurückzuführen, wenn Bildaufnahmen allein urheberrechtlich schutzfähig sein sollten, Tonaufnahmen allein hingegen nicht.
Danach ist es nur noch konsequent, den § 24 Abs. 1UrhG für freie Benutzung in gleicher Weise analog für Tonaufnahmen anzuwenden, wie für Laufbilder. Diese Analogie gebietet die Gleichstellung in § 95 UrhG. Dass eine solche Regelung für Tonaufnahmen ohne der für Werke notwendige Gestaltungshöhe fehlt, macht eine Analogie nötig, wurde aber vom BGH in seinem letzten Urteil so nicht verbeschieden. Vielmehr beließ er es bei der Analogie des § 24 Abs. 1 UrhG für Tonträgerhersteller, ohne die Vorschiften selbst auch noch entsprechend anzupassen.
Keine doppelte Analogie für Tonträger
Dass dies für Laufbilder erst nachträglich ins Gesetz aufgenommen wurde, spricht im Umkehrschluss dafür, dass es einer solchen Regelung für reine Tonaufnahmen ebenfalls bedarf. Da der Gesetzgeber dies außer Acht gelassen hat, ist es zumindest erfreulich, dass der BGH auf diesen Umstand hingewiesen hat. Eine direkte Analogie des § 24 Abs. 1 UrhG ohne Rückschluss auf den § 95 UrhG bereitet aber aus den o.g. Gründen dogmatische Bauchschmerzen. Im Ergebnis macht es spätestens dann einen Unterschied, wenn man den § 24 Abs. 1 UrhG anwendet, sei es direkt oder analog. Bei der Bestimmung, welche Teile nun miteinander verglichen werden sollen, kommt es letztlich doch darauf an, ob auch Tonaufnahmen ohne Werkcharakter und Teile davon genauso geschützt werden sollen wie Laufbilder oder ob diese vielmehr auch bei entsprechender Anwendung nur im Gesamteindruck betrachtet werden dürfen, das Maß der Strenge an den inneren und äußeren Abstand, den § 24 Abs. 1 UrhG für eine freie Benutzung fordert, an die neue Produktion nicht so hoch sein darf wie bei schöpferischen Werken mit Gestaltungshöhe oder eben bei den explizit gesetzlich geschützten Laufbildern. Konsequent kann nur letzteres sein. Doch das hat der BGH nicht entschieden. Das ist schade!
Ohne Analogie soll eine untere Schwelle Abhilfe schaffen
Einige Stimmen aus Literatur und Rechtsprechung fordern ohne Rückgriff auf eine Analogie, dass für den Schutz aus § 85 UrhG ein substanziell, wettbewerblich relevanter Bestandteil der Herstellerleistung aus den Tonaufnahmen entnommen worden sein muss oder dass ein Mindestmaß an wirtschaftlichem, organisatorischem und technischem Aufwand getrieben wurde. Aus dem Gesetz lässt sich das nicht direkt ableiten. Auch der BGH hat sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen.
Denkbar wäre allerdings, eine allgemeingültige rechtliche Wertung aus § 87c Abs.1 UrhG, der es erlaubt, unwesentliche Teile einer Datenbank zu benutzen, zu ziehen, dass Unwesentliches frei genutzt und verwertet werden darf, dass das Urheberrecht also erst ab einer gewissen Relevanz greift. Dafür sorgt zum einen die Gestaltungshöhe für den Werkcharakter.
Zum anderen könnte man für artverwandte Rechte wie die der Trägerhersteller von Film oder Musik und auch sonstigen Tonaufnahmen die Wesentlichkeit oder nur anders formuliert, die Eigentümlichkeit als untere Schwelle für eine Verletzung des geschützten ökonomischen, organisatorischen und technischen Aufwands festlegen, der dem bei Datenbanken durchaus vergleichbar ist, weil nicht der Inhalt als solcher, sondern der Aufwand für die Aufarbeitung desselbigen ausschlaggebend für den urheberrechtlichen Schutz ist.
Film oder Datenbank, das ist hier die Frage?
Es ist jedoch naheliegend und praktikabler, Tonaufnahmen aller Art mit denen von Filmmaterial zu vergleichen, das einzeln betrachtet zumeist auch urheberrechtsfrei ist. Soundsamples sollten auch rechtlich wie Klammerteile im Filmgeschäft behandelt werden.
Dass der BGH letztlich die freie Benutzung auf Tonaufnahmen beschränkt, die nicht selbst aufgenommen werden können, verkennt, dass es bei dieser Frage allein um den finanziellen Aufwand geht, der getrieben werden müsste, um eine solche Produktion einzuspielen. Sieht man einmal von privaten Hobbyaufnahmen ab, die auf YouTube oder MySpace durchs Internet geistern, kann dieses Argument als rechtliche Schranke indes nicht überzeugen.
Fazit:
Die analoge Anwendung des § 24 ist nötig und richtig, aber so, wie der BGH vorgeht, leider auch missverständlich!
Eine Harmonisierung mit der für Filmträger bereits gefundenen Lösung für Laufbilder nach § 95 UrhG hätte sich auch in konsequenter Anwendung für das Problem Tonsampling angeboten. Dabei sollte es bei einer analogen Anwendung von § 24 Abs.1 UrhG gerade nicht entscheidend darauf ankommen, dass ein neues Werk mit Gestaltungshöhe geschaffen wird.
© Marcella Katharina Morelj 27.02.2009 Foto:pixelio/petplei